Verstopfte Straßen und dicke Luft: Auch wenn coronabedingt derzeit deutlich weniger Stau auf den Autobahnen ist, bleibt NRW laut ADAC Stauland Nummer eins. Die Verkehrssituation im bevölkerungsreichsten Bundesland stößt an ihre Kapazitätsgrenzen – das aktuelle Angebot wird neuen Mobilitätsansprüchen nicht mehr gerecht. Mobilitätsforscher Thorsten Koska, Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal Institut, erklärt, warum NRW der Umstieg vom Auto auf die Schiene für eine Mobilität der Zukunft gelingen muss.
Herr Koska, mit Blick auf NRW: Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Untersuchungen und welche Handlungsempfehlungen geben Sie?
Thorsten Koska: Um die Straßen zu entlasten, müssen wir den Verkehr auf der Schiene stärken und gleichzeitig die Mobilitätsalternativen ausbauen und verbessern. Wir können nicht länger nur auf ein Verkehrsmittel setzen – die Lösung für unsere unterschiedlichen Anforderungen ist der Mobilitätsmix. Radfahren, Bus- und Bahnfahren müssen so attraktiv und stressfrei werden, dass das eigene Auto vor der Tür nicht länger die erste Wahl ist. Ergänzt wird das durch Sharing-Mobilität: Carsharing oder neue Ridepooling-Angebote, die als digital vernetzte Rufbusse den öffentlichen Verkehr ergänzen, gerade auch in Regionen mit wenig Linienverkehr.
Gleichzeitig bietet NRW als Ballungsraum deutliche Chancen: Weil wir eng beieinander wohnen, haben wir kurze Wege und ein dichteres Netz. Dadurch ist es uns möglich, schneller neue Anschlüsse und Vernetzungen zu schaffen. Unser Ziel muss eine nahtlose Mobilität von Tür zu Tür sein. Durch Corona hat ein Umbruch stattgefunden – zu diesem Zeitpunkt können wir noch nicht sagen, ob die Trends, die wir vorhergesehen haben, auch nach der Pandemie Bestand haben. Dies hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie ernsthaft die klimapolitischen Ziele verfolgt werden.
„Im Vergleich zur Bahn benötigt ein Auto mit Verbrennungsmotor das 4,8-fache an Energie pro Kilometer und Person, ein Lkw sogar das 5,6-fache pro Tonne und Kilometer gegenüber der Güterbahn."
Vor Corona war nicht nur NRW, sondern ganz Deutschland in Aufbruchsstimmung Richtung Verkehrswende. Hat sich das geändert?
Thorsten Koska: Vor der Pandemie hat NRW mit vielen Mobilitätsprojekten begonnen und neue Ansätze geschaffen. Gerade in der letzten Zeit wurde viel in die Schiene investiert, und das ist richtig so. Denn auch wenn die Schlagzeilen gerade durch andere Themen gemacht werden – die Verkehrswende und auch die Klimakrise bleiben bestehen, wir müssen handeln. Es ist keine Frage nach dem Ob, sondern nach dem Wie. In einer aktuellen Machbarkeitsstudie in Zusammenarbeit mit Fridays For Future haben wir uns mit der von der internationalen Staatengemeinschaft im Jahr 2015 beschlossenen Vereinbarung befasst, die das Ziel vorgibt, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Laut Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) muss Deutschland die CO2-Neutralität schon bis etwa 2035 erreichen, wenn wir einen angemessenen Beitrag zum globalen 1,5-Grad-Ziel leisten wollen. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass dies zwar sehr ambitioniert, aber nicht unmöglich ist. Dazu müssen wir umsteigen: Denn der Auto- und Lkw-Verkehr ist maßgeblich verantwortlich für den hohen Energiebedarf. Im Vergleich zur Bahn benötigt ein Auto mit Verbrennungsmotor das 4,8-fache an Energie pro Kilometer und Person, ein Lkw sogar das 5,6-fache pro Tonne und Kilometer gegenüber der Güterbahn. Dass die Schienen in NRW ausgebaut werden müssen, ist also klar. Nur so können wir mehr Menschen zum Umstieg bewegen und damit auch die Klimakrise angehen.
Der RRX ist mit das wichtigste Schieneninfrastrukturprojekt auf dem Weg zum Bahnland NRW. Wie schätzen Sie den Einfluss der neuen Züge auf die Alltagsmobilität der Fahrgäste ein? Und sind Sie schon einmal mit dem RRX gefahren?
Thorsten Koska: Selbstverständlich bin ich schon mit den neuen Fahrzeugen gefahren – gerade zwischen Düsseldorf und Köln auf der Rheinschiene. Die Vision des RRX gibt für NRW die richtige Richtung vor, denn es gibt zwei Gründe, warum Menschen in vielen Fällen ihr Auto bevorzugen: Zeit und Komfort. Die RRX-Fahrzeuge können beides bieten. Beispielsweise gestalten Steckdosen, WLAN und die Aufenthaltsqualität die Zeit im Fahrzeug angenehm. Verspätungen und Ausfälle auf den Linien der neuen Fahrzeuge sind deutlich zurückgegangen und die Verbindungen werden zuverlässiger. Es muss aber flächendeckend gedacht werden. Denn es reicht nicht, diese Qualität nur modellhaft auf einigen Linien umzusetzen.
„Damit wir vorankommen, ist der RRX sicher die richtige Vision für NRW. Der Ausbau auf der Schiene ist notwendig, damit wir unsere Mobilität voranbringen können."
Im Zuge des Projekts wurden bereits zahlreichreiche Bahnhöfe modernisiert. Neben den Anpassungen der Bahnsteighöhen und -längen spielen hier Aufenthaltsqualität und Barrierefreiheit eine große Rolle. Inwieweit tragen diese Maßnahmen aus Ihrer Sicht dazu bei, mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen?
Thorsten Koska: In NRW hat sich schon einiges getan – aber es muss auch noch viel passieren. Wir müssen weiter ausbauen und die Prozesse bestenfalls noch beschleunigen. Hier gibt es sicher zwei wichtige Punkte: Zum einen müssen wir es schaffen, die Aufenthaltsqualität an den Bahnhöfen zu erhöhen. Das ist an vielen Stationen bereits passiert. Sichere Aufenthaltsräume und Unterführungen, Gastronomie, Mobilstationen, Paketstationen oder Co-Working-Spaces lassen Bahnhöfe zu Orten werden, an denen man gerne die Zeit überbrückt. Und Mobilstationen an Bahnhöfen können z.B. mit Carsharing und Leihfahrrädern Angebote für die erste und letzte Meile schaffen. Dieses Niveau brauchen wir nun flächendeckend. Zum anderen zählt der Öffentliche Nahverkehr zur Daseinsversorgung. Unser Ziel sollte es sein, so vielen Menschen wie möglich eine uneingeschränkte Mobilität zu ermöglichen. Dass der RRX barrierefreie Mobilitätsketten schafft, ist ein wichtiger Schritt. Damit wird niemand ausgeschlossen und noch mehr Menschen können umsteigen.
Im Zielnetz sollen die RRX-Linien die Mobilität in allen Teilen des Landes verbessern – vor allem aber einen 15-Minuten-Takt im Regionalverkehr auf der Achse Köln-Dortmund herstellen. Wie wichtig ist der Ausbau des Regionalverkehrs auf dem Kernkorridor für die Mobilitätswende im Land?
Thorsten Koska: Sicher ist dies einer der meistbefahrenen Korridore bundesweit – der Ausbau ist daher enorm wichtig. Wir können so zum einen durch die Taktung die Quantität steigern, aber gleichzeitig auch die Qualität des Angebotes auf der Strecke für alle Fahrgäste stark verbessern. Damit wir vorankommen, ist der RRX sicher die richtige Vision für NRW. Der Ausbau auf der Schiene ist notwendig, damit wir unsere Mobilität voranbringen können.
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