Ankommen, einsteigen, losfahren – der 15-Minuten-Takt des RRX wird genau das möglich machen. Mehr Züge auf den Schienen setzen dabei nicht nur die Verkehrswende in Gang, auch der technische Fortschritt nimmt Fahrt auf: Lena Pakull, Projektingenieurin bei der DB Netz AG, erklärt die Vorteile des European Train Control Systems (ETCS).
Was verbirgt sich hinter dem Begriff European Train Control System?
Lena Pakull: Das European Train Control System – oder kurzgesagt ETCS – ist ein Zugbeeinflussungssystem, das sich in der Ausrüstungsstufe Level 2 gut mit einem unterstützenden Autopiloten vergleichen lässt: Anhand bestimmter Messgrößen und der genauen Position des Zuges kann das System auch bei hohen Geschwindigkeiten Abweichungen feststellen und entsprechenden Input zur Beeinflussung liefern. Wichtig dabei ist, dass das System Lokführer*innen unterstützt – aber nicht ersetzt. Es soll langfristig das bisherige nationale Zugbeeinflussungssystem ersetzen.
Wie funktioniert dieses System genau?
Lena Pakull: Grundsätzlich gilt, dass ETCS auf einem Zusammenspiel verschiedener Daten, fahrzeug- wie auch streckenseitig, basiert. Stellen wir uns vor, ein Zug fährt in einen Streckenabschnitt ein: Unter dem Zug befindet sich ein Balisenkommunikationsmodul (BTM), das die Daten der Balisen im Gleis ausliest. Anhand dieser Daten erhält der Fahrzeugrechner benötigte Parameter der Strecke, wie Neigung, Gradiente oder auch die Streckengeschwindigkeit, die zur Beeinflussung des Fahrzeugs benötigt werden. Da die Balisen aber zudem als eine Art „Kilometerstein“ fungieren, wird durch das Auslesen auch die Fahrzeugposition ermittelt. Diese wird dann per Funk (GSM-R) an die ETCS-Streckenzentrale weitergegeben. Die ETCS-Zentrale erhält parallel dazu vom elektronischen Stellwerk Informationen darüber, ob die Strecke frei und damit für den Zug befahrbar ist. Durch eine kontinuierliche Zustandskontrolle und Abgleich der verschiedenen Eingangsgrößen, wie Fahrzeugposition oder Freimeldung des vorausliegenden Streckenabschnitts, entscheidet die ETCS-Streckenzentrale, ob der Zug eine Fahrerlaubnis erhält oder nicht. Die Fahrerlaubnis wird von der ETCS-Zentrale über GSM-R an den Zug übermittelt und den Lokführer*innen auf der Führerstandsanzeige dargestellt.
Klingt im ersten Moment für den Laien etwas kompliziert – ist es das auch?
Lena Pakull: Auf den ersten Blick vielleicht – in jedem Fall sind die Vorteile einfach zu verstehen: Im Falle von Umleitungen von Güterverkehr auf Strecken des Personenverkehrs entsteht ein besserer Verkehrsfluss. Außerdem schafft das System etwas, was es bis dato noch nicht gegeben hat: Für die Eisenbahntechnik werden europaweite Standards in der Infrastruktur gesetzt und dadurch der grenzüberschreitende Verkehr vereinfacht. Gerade mit Fokus auf die Verkehrswende und dem Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, ist das sicherlich ein wichtiger Aspekt.
Welche Verbesserungen gibt es denn konkret in Nordrhein-Westfalen?
Lena Pakull: Aktuell sind nicht alle Fahrzeuge, die im Schienenpersonennahverkehr unterwegs sind, auf dem gleichen Stand der Technik. Derzeit kann es vorkommen, dass in Zügen, die grenzüberschreitend verkehren, mehr als drei unterschiedliche Zugbeeinflussungssysteme installiert sind. Mit ETCS würde in Zukunft nur ein System benötigt. Alle RRX Fahrzeuge sind ETCS-fähig und daher bereit für ETCS.
Welche Voraussetzung braucht es noch, damit das ETCS flächendeckend zum Einsatz kommen kann?
Lena Pakull: Wie eben schon beschrieben, braucht es nicht nur die richtige Technik am Zug, sondern auch an der Infrastruktur. Aktuell werden bereits die bestehenden Stellwerke mit Alttechnik in mehreren Baustufen durch ein neues elektronisches Stellwerk (ESTW Düsseldorf) ersetzt, um den Verkehr auf der Kernstrecke zwischen Köln und Duisburg realisieren zu können. Das ESTW Düsseldorf wird im Zielzustand neun bestehende Stellwerke zwischen Leverkusen und Düsseldorf-Kalkum ersetzen und als eines der größten elektronischen Stellwerke in Deutschland den Betrieb aufnehmen. Im Zuge dessen wird ETCS über weite Strecken direkt mitgebaut, in anderen Fällen wird so gebaut, dass wir später mit geringem Aufwand nachrüsten können.
Und wie bringt dieses System Nordrhein-Westfalen voran?
Lena Pakull: Erst mit dem elektronischen Stellwerk Düsseldorf und dem damit einhergehenden Streckenausbau sowie dem Einsatz von ETCS kann die künftig höhere Zahl an Zugfahrten abgewickelt und bei Baustellen oder Störfällen auch umgeleitet werden. Das erhöht die Qualität im Schienenverkehr und sorgt langfristig für ein attraktiveres Angebot für die Menschen in Nordrein-Westfalen – beispielsweise durch den 15-Minuten-Takt auf der Kernstrecke des RRX. Auch wenn wir durch Corona gelernt haben, dass sich Stoßzeiten im Verkehr verändern können, bleibt weiterhin klar: Die Nachfrage nach klimafreundlicher Mobilität und damit der Mobilität auf der Schiene wird weiterwachsen. Die Infrastruktur muss für dieses höhere Verkehrsaufkommen vorbereitet sein.
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